Tickende Knallbonbons
Wie sie daliegen, zusammengekrümmt, die Augen immer verschlossen, in sich selbst verschlungen. Sie brauchen nichts, denn es ist alles da. Sie müssen nicht sehen, denn sie suchen nichts. Noch nicht. Der Maler und Bildhauer Kehl hat seine Gestalten ins Ei gelegt, und sie damit in einen Zustand fötaler Geborgenheit versetzt. - es ist schon ganz schön eng im Ei. Bald sprengen seine Gestalten die Schale, um sich – ihren Anlagen gemäß - zu entfalten.
Wer die Werke Kehls kennt, dem sind die poppigen Figuren wohl vertraut. Das verkrüppelte Huhn, das Model und den Männerkörper kennt man von seinen Bildern und auch als gedrechselte Skulptur.
Das bunt lackierte Huhn mit verkrüppeltem Fuß und gerupften Flügeln im Blümchenpulli traf man schon sitzend und sinnierend, seine einzige Kralle rot lackiert. „I believe I can fly“ betitelte Kehl damals die tragikkomische Skulptur und der Betrachter wusste, dass dieser schräge Vogel in Bonbonfarben wohl niemals flügge wird. In seiner aktuellen Ausstellung „Erblich vorbelastet – it runs in the family“ hat Kehl den Vogel in eine echte Straußen- und Emu-Eierschale platziert. Aufwändig in Lindenholz geschnitzt und gewohnt bonbonfarben lackiert, liegt er gut aufgehoben da, noch unberührt und unbewusst des auf ihn harrenden Lebenskampfes, wenn die heile Schale der Eiwelt zerbricht.
Ungewohnt friedlich liegt auch Kehls „Superzicke“ während ihres fötalen Stadiums im Straußenei. Sonst kennt man das grell geschminkte, mit knappem Minikleid, High Heels, Wallemähne und Modelfigur bewaffnete Überweibchen im Streit mit einer echten Zicke verstrickt oder mit weit aufgerissenen Mund hysterisch lachend oder schreiend in Aktion. Nun thront sie ins Ei eingebettet auf einem Bronzefuß, der „Adel verpflichtet“ (so der Titel der Skulptur) vergoldet ist. Mit dieser Veredelung greift Kehl schon im vorgeburtlichen Stadium die eitle Jagd nach der Steigerung des persönlichen Marktwertes auf, wie sie beim Model über Make Up und Styling symbolisiert wird.
Zum schrägen Vogel, der vom Fliegen träumt und dem auf ihren begehrenswerten Marktwert bedachten Supermodel gesellt sich die dritte Gestalt: ein meist pastellblau gehaltener Körper, der das intimste der drei Selbstporträts des Künstlers darstellt. In Embrionalstellung schmiegt sich der Körper perfekt an die Eiform. Doch der in sich gekehrten, Geborgenheit suchenden Haltung widerspricht die hellrosa gezeichnete Brustwarze als sexuelles Symbol und das gekrümmte fein herausgearbeitete Rückgrat, das sich strecken will. Der Ausbruch kündigt sich an. Die vorgeburtliche Geborgenheit weicht dem Drang nach Entfaltung, der Auseinandersetzung mit den eigenen Schwächen und Talenten auf der Suche nach dem eigenen Marktwert.
Und nach dem Ausbruch? Das schräge Vögelchen tritt zumindest künstlerisch den Höhenflug an und darf sich auf einem gold lackiertem Ei zur Melodie drehen. „Stolzgeschwellt“ nennt Kehl die anmutig groteske Spieluhr. Das Supermodel hingegen wird nach seiner Geburt vor den Karren gespannt: Es zieht ein Ei in Form eines Leiterwagens hinter sich her, in dem – na was wohl? – eine Henne thront. So zeigt sich auch hier, dass ihre ganze Begehrlichkeit nur darin münden wird, selbst Glucke zu sein.
Ob nun Henne oder Ei zuerst da waren, diese strapazierte Frage stellt sich in Anbetracht dieser humorvoll hintergründigen Ausstellung zum Glück gar nicht, denn „Erblich vorbelastet“ zeigt: es ist alles Ei - nerlei.
Text: Patricia Caspari